Write or Die – Schreiben als Leben!

Ein verwirrend schönes Buch um die Protaginstin HERmione Gart. Traumgedanken und Realität vermischen sich, drehen sich im Kreis. Dem Leser wird der Boden unter den Füßen entzogen. Kein Buch für Männer!

Hilda Doolittles Hermione ist ein kunstvoll verfremdetes Selbstporträt, ein faszinierender Text der literarischen Moderne. Ihr Diktum heisst Schreiben oder Sterben, Schreiben als Leben und Leben als Schreiben, das bedeutet auch eine von der Fiktion nicht abgrenzbare Realität.


… that I must keep faith
with something, I called it writing,
write, write or die …

Das Buch gehört zu den wertvollsten Entdeckungen meiner Jugendzeit. Es prägte meinen Geist und gab meiner Domain den Namen.


Eine treffende Analyse des Romans stammt von Friederike Kretzen.Wie Kinder singend im Kreis herumgehen und die Wirklichkeit beschwoeren, so geht schon der erste Satz und mit ihm Her Gart im Kreis herum. Und wie sie weiter im Kreis geht, sagt sie sich immer wieder im Kreis ihren Namen. Der genaugenommen Hermione Gart lautet. Auch das versucht sie zu sein, Hermione Gart, aber Her Gart war das nicht. Und weiter gehen Erzählerin und erzählter Text im Kreis um Her herum, die Abkürzung von Hermione, die nicht zu bezeichnen ist, nur zu umkreisen.

Her ist also da. Die, auch wenn sie im Kreis geht und alles nach Beschwörung aussieht, feststellt, dass sie keine Prophetin ist. Die also nichts in der Form des Wissens weiss und über keine Weitsicht verfügt. Dennoch beschwört sie, und sie beschwört sich selbst.

Das Buch in seiner Kreisbewegung bezeichnet eine Umgrenzung, in der ein Textgewebe entsteht, in dem Bilder auftauchen und wieder verschwinden. Bilder allerdings, die sich zwischen Sprache und Sehen formulieren, Bilder, in denen sich das Unsichtbare abdrückt.

Das klingt nun womöglich sehr kompliziert und abstrakt. Leicht ist die Lektüre nicht, das Buch ist nicht ohne einen gewissen Willen zur Komplexität zu lesen. Doch wenn wir uns nochmal ans Kreisgehen in der Kindheit erinnern und uns vorstellen, dass Texte mit diesen eingeübten Bewegungen oder Rhythmen zu verstehen sind, ja damit gar korrespondieren – dann ist Hermione ein einfaches, ein spielerisches Buch. Ein Buch zudem, in dem das, was unsere Moderne zwischen Amerika und Europa in den ersten Jahrzehnten des Jahrhunderts bewegte, geschrieben steht. Diese Moderne, der wir heutzutage mit unserem Willen zum idyllischen Lesen weit hinterher hinken.

1922 in London geschrieben, spielt Hermione in den ersten Jahren des Jahrhunderts in Pennsylvania und verflicht die Verwandlung eines Mädchens zur jungen Frau mit ihrer Flucht aus Amerika. Die Geschichte Hermiones ist schnell erzählt. Die Lieblingstochter des Astronomieprofessors fällt durch die Prüfungen des renommierten Bryn Mawr College. Mit diesem Versagen ist nicht nur ihr Wunsch, Naturwissenschaften zu studieren, verunmöglicht, sondern auch ihr Bruch mit der Familie unausweichlich geworden. Sie fühlte nur, dass sie für ihren Vater eine Enttäuschung und für ihre Mutter ein hässliches Entlein war, ein lästig hochgeschossenes, unwirkliches Wesen, das hier keinen Platz hatte. Hermione will nicht und kann nicht, was für sie vorgesehen ist. Sie vergleicht sich mit dem Quecksilber in einem Thermometer, das in seiner Säule steigt und steigt. Was mag es für ein Gefühl sein, wenn es ganz oben angelangt ist, nicht weiter kann und klopft und pulsiert, um Grade auszudrücken, die weit über den Graden liegen, die mit feinen Silberstrichen sorgfältig auf der gläsernen Röhre markiert sind … ich kann Grade fühlen, für die es keinen Massstab mehr gibt.

In diese Krise der Unbestimmtheit gerät der Dichter George Lowndes, dem realen Ezra Pound nachgebildet, der Hochwassermarke der damaligen Intelligenzija, der sie mit dem unbedingten Drang zum Kunstschaffen überhäuft, wozu auch Liebe gehört. Die beiden verloben sich sogar, obwohl ihre Eltern dem jungen Mann mit den Allüren des Dichters ablehnend begegnen. Doch noch heftiger lehnen sie die andere Liebesgeschichte Hermiones mit Fayne Rabb ab. Auch für sie gibt es ein reales Vorbild, Frances Gregg, mit der Hilda Doolittle 1911 auf den Spuren von Ezra Pound nach Europa übersetzt, um von dort nicht mehr zurückzukehren.

George Lowndes, Puncinello, ein Harlekin mit zusammengeflickten Kleidern und zusammengeflickten Sprachen, ist zwar nicht der Richtige, weiss Hermione, doch öffnet bzw. vergrössert er ihren Einblick in das Unausdenkbare.

Sie drehte den vorderen Teil ihres Kopfes und blickte in den hinteren Teil, war erstaunt wie ein Kind, alles spiegelverkehrt zu finden. Diese Entdeckung war ihr Spielguthaben. Sie ahnte nicht, dass sie ihr Leben lang mit der starren Unbeweglichkeit der Worte spielen würde, die Worte waren ihre Münzen … Worte werden mein Reichtum sein, und mit Worten werde ich beweisen, dass die Sterne, die sich drehen und konzentrische Systeme bilden, einfach nur Sterne sind, oder Edelsteine, ein Geschenk, ein Wagen oder einfach eine Frau. Ich werde eine Frau in den Himmel setzen.

Zu diesem Unausdenkbaren gehört aber auch, dass Fayne Rabb – die, wie Hermione, wegen Hexerei verbrannt werden müsste, sagt George Lowndes – mit eben diesem George Lowndes ein Verhältnis hat. Hermione bricht zusammen, sie fällt in einen Schneewittchenschlaf, aus dem sie einerseits verwirrt erwacht, andererseits klar vor sich sieht, dass es für sie nur den Ausgang Europa gibt. Und den Ausgang des Schreibens.

Je mehr man sich mit Werk und Leben Hilda Doolittles vertraut macht, um so unabgrenzbarer und nichtssagender werden Begriffe wie Fiktion und Realität.

Quelle: Aus Friederike Kretzen: Hilda Doolittles Roman „Hermione“

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